Psychische Belastungen am Arbeitsplatz: Die unterschätzten Gefahren
Wir fordern: Arbeits- und OrganisationspsychologInnen als gleichwertige Präventivfachkraft im ArbeitnehmerInnenschutz verankern
Arbeitsbedingte psychischen Belastungen und die in der Folge auftretenden Erkrankungen nehmen seit Jahren drastisch zu. Alleine die Krankenstände aufgrund arbeitsbedingter psychischer Belastungen sind gesamtwirtschaftlich mit rund 3,3 Milliarden Euro jährlich zu beziffern. Fast ein Drittel aller Neuzugänge der Pensionierungen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit erfolgen mittlerweile aus psychischen Gründen (Biffl, Faustmann, Gabriel, Leoni, Mayrhuber & Rückert, 2012 3 Statistik Austria, 2013). Ein Ende dieser besorgniserregenden Entwicklung ist derzeit nicht absehbar. Das ASchG sowie weitere Bedienstetenschutzgesetze nennen ausdrücklich ArbeitspsychologInnen als ExpertInnen für die psychischen Belange der Prävention: Nicht zuletzt sind diese bereits heute im § 4 Abs 6 ASchG als „besonders geeigneten Fachleute“ hervorgehoben.
Trotz ihres hohen Stellenwerts in der betrieblichen Prävention sind Arbeits- und OrganisationspsychologInnen noch immer nicht als Präventivfachkräfte (neben den Sicherheitsfachkräften und den ArbeitsmedizinerInnen) im ASchG verankert. Die neuen Anforderungen der Arbeitswelt machen es erforderlich, dass diese Berufsgruppe „auf Augenhöhe“ mit den anderen Präventivfachkräften agieren kann und mit den gleichen Rechten und Pflichten ausgestattet ist.
Um einen weiteren Anstieg arbeitsbedingter psychischer Erkrankungen hintanzuhalten und im Hinblick auf das zunehmende Erfordernis psychisch menschengerechter Arbeitswelten, sind Arbeits- und OrganisationspsychologInnen (bei gleichzeitiger Erhöhung der Präventionszeiten für alle Präventivfachkräfte) als gleichwertige Präventivfachkraft im ArbeitnehmerInnenschutz zu verankern.
- Verankerung von Arbeits- und OrganisationspsychologInnen als gleichwertige Präventivfachkraft gleichberechtigt zu ArbeitsmedizinerInnen und Sicherheitsfachkräften im ASchG
- Verpflichtung der ArbeitgeberInnen zur Bestellung und Beiziehung von Arbeits– und OrganisationspsychologInnen analog §§ 73 und 76 (Sicherheitsfachkräfte) und §§ 79 und 81 (Arbeitsmediziner) ASchG
- Tätigkeitsfelder der Arbeits- und OrganisationspsychologInnen analog § 77 (Tätigkeiten der Sicherheitsfachkräfte) und § 82 (Tätigkeiten der Arbeitsmediziner) im ASchG festlegen
Wir fordern: Sicherheits– und Gesundheitsschutz für die Psyche gewährleisten
Unsere Arbeitsgeschwindigkeit hat sich bei gleichzeitiger Verdichtung in den letzten 20 Jahren spürbar erhöht - immer mehr Arbeit muss von immer weniger Beschäftigen, in immer kürzerer Zeit, geleistet werden. Krankmachende arbeitsbedingte psychische Belastungen gehören zu den unterschätzten Gefahren der Arbeitswelt. Sie verursachen enormes Leid für Beschäftigte und hohe betriebs- und volkswirtschaftliche Kosten – Tendenz steigend: Acht von zehn Erwerbstätigen sind an ihrem Arbeitsplatz zumindest einem körperlichen und/oder psychischen Gesundheitsrisiko ausgesetzt, das sind rund 3,3 Millionen Erwerbstätige3. Endfassung, 9.11.2017 Österreichische Studien zeigen mittlerweile bei 19% bis 25% der Teilnehmenden eine vorliegende Bedrohung durch Burnout45 auf. Eine Untersuchung der Johann Kepler Universität Linz gibt die Kosten6 der Behandlungsdauer von 500.000 von Burnout betroffenen Personen mit 3,9 bis 9,9 Mrd Euro an.
- Fakt ist: Der Mensch hat natürlich vorgegebene Leistungsgrenzen. Die Arbeit und Arbeitsumgebung haben sich daher den Funktionen und Möglichkeiten des menschlichen Organismus anzupassen. Arbeit ist daher so zu gestalten, dass die ArbeitnehmerInnen - unter Berücksichtigung ihrer Dauerleistungsgrenzen - psychisch sicher und gesund Ihrer Tätigkeit nachgehen können. Die Schutzbestimmungen sind bezogen auf die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz zu konkretisieren und anzupassen.
- Regelungen zur Evaluierung arbeitsbedingter psychischer Belastungen mittels Durchführungsverordnung konkretisieren (Konkretisierung der Verantwortlichkeit, verbindliche Prozessstandards, Klarstellung der inhaltlichen Dimensionen (zB Arbeitszeit, Beurteilungs- und Gestaltungskriterien von Erhebungsverfahren und Schutzmaßnahmen, Personalbemessung etc) inkl verpflichtende Einbindung von Arbeits- und OrganisationspsychologInnen
- Explizit verpflichtende Evaluierung von Arbeitszeitregelungen (insbes Schichtpläne) und Flexibilisierungsprozessen im Hinblick auf deren gesundheitliche Auswirkungen
- Verpflichtende Nachevaluierung gemäß § 4 Abs 5 Z 2 ASchG für die Rückkehr von ArbeitnehmerInnen nach psychischen Erkrankungen
- Etablierung einer Kompetenzstelle zur Beurteilung von Erhebungsinstrumenten (inwiefern diese im Rahmen der Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen zulässig und geeignet sind)
- Aufnahme der Wortfolge „zur menschengerechten Arbeitsgestaltung,“ in § 3 Abs 1 ASchG nach der Wortfolge „Maßnahmen zur Verhütung arbeitsbedingter Gefahren“
- Förderung von Studien durch die AUVA zur psychischen Auswirkung von Überwachung durch Global positioning system (GPS) und radio frequency identification (RFID) etc
Wir fordern: Mobbing- und Gewaltprävention als Pflichtaufgabe konkretisieren
Die Ergebnisse des European Working Condition Survey (2010) führen in Österreich eine Mobbingrate von 7,2% an. Österreich liegt damit über dem EU Schnitt von 4,1% (EU-27). Während EU-weit das Mobbinggeschehen zwischen 2005 und 2010 um rund 1% abnahm verzeichnetet Österreich hier sogar eine Zunahme von 5% auf 7,2%7. Auch Gewalt bleibt Thema in den Österreichischen Betrieben: 2013 waren rund 144.000 Beschäftigte von Gewalt in ihrem Beruf bedroht bzw betroffen – das sind etwa 3,5% aller Erwerbstätigen.
Mobbing und Gewalt im Betrieb führen nicht nur zu großem Leid für die Betroffenen, sondern auch zu hohen direkten und indirekten Kosten für die Betriebe in denen Mobbing- und Gewalthandlungen auftreten. ArbeitgeberInnen sind im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht bereits jetzt angehalten, für Arbeitsbedingungen zu sorgen, die Mobbing und Gewalt den Nährboden entziehen und bei Kenntnisnahme von Mobbing- und Gewalthandlungen unmittelbar einzuschreiten.
Um einen weiteren Anstieg der Mobbingrate in Österreich hintanzuhalten und Gewalthandlungen in den Betrieben zurückzudrängen, sind weiterführende Maßnahmen umzusetzen. Darüber hinaus ist eine legistische Klarstellungen v.a. im Hinblick auf die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers/der Arbeitgeberin erforderlich.
- Klare gesetzliche Verankerung der Verantwortlichkeit von ArbeitgeberInnen für Sensibilisierungs- und Präventionsmaßnahmen zur Vermeidung von Mobbing und konfliktträchtigen oder konfliktförderlichen Verhaltensweisen, bei Verletzung der Integrität und Würde nach § 3 Abs 1 ASchG, bei Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte und bei Gewalt, Belästigungen und innerbetrieblichen Konflikten sowie die klare gesetzliche Verankerung der Verantwortlichkeit der ArbeitgeberInnen im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht bei derartigen Vorkommnissen
- Verpflichtung der ArbeitgeberInnen zum achtungsvollen Umgang (Mobbingverbot) analog zu § 43a BDG
- Konkretisierung der Verpflichtung von ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen zur Achtung der Integrität und Würde nach § 3 Abs 1 ASchG, Gewährleistung eines respektvollen Arbeitsklimas durch Festlegung als Führungsaufgabe sowie Verpflichtung der ArbeitgeberInnen zum achtungsvollen Umgang (Mobbingverbot) analog zu § 43a BDG
- Verpflichtende innerbetriebliche Leitlinien für Betriebe (inkl. der expliziten Klarstellung, dass Gewalt, Mobbing, sexuelle Belästigung etc. gegenüber Beschäftigten nicht toleriert und sanktioniert wird)
- Verpflichtende Ausbildung von Führungskräften im Hinblick auf Mitarbeiterführung (Verpflichtung zur Unterweisung lt § 14 ASchG) und Seminare zum Umgang mit Konflikten für Beschäftigte
- Schaffung eigens beauftragter und geschulter Personen zur Prävention von bzw Reaktion auf Mobbing im Betrieb, die unter sinngemäßer Anwendung der Regelungen über die Sicherheitsvertrauenspersonen mit denselben rechtlichen Möglichkeiten und Schutzmechanismen ausgestattet sind
- Gewährleistung einer verbesserten Begleitung der von Gewalt, Mobbing und Belästigung betroffen ArbeitnehmerInnen (Finanzierung Rechtsbeistand, medizinische, therapeutische, psychologische Unterstützung) von Seiten des Arbeitgebers/der Arbeitsgeberin
- Schaffung einer überbetrieblichen Anlauf- oder Schlichtungsstelle zur Beiziehung in Mobbing- sowie Konfliktfällen
- Schaffung einer Möglichkeit der Regelung von Mobbingpräventionsmaßnahmen und der Konfliktbearbeitung durch erzwingbare Betriebsvereinbarungen (Schaffung einer Kompetenzgrundlage im ArbVG, vgl VfGH vom 4.3.2011, B 1338/10)
- Erweiterung der Liste der erzwingbaren Betriebsvereinbarungen (ArbVG) um Betriebsvereinbarungen zum Schutz vor Gewalt am Arbeitsplatz
- Verankerung der Prävention von Mobbing, Gewalt, sexueller Belästigung und Stress als Gesundheitsziel im ArbeitnehmerInnenschutzrecht
- Ahndung von Übergriffen auf ArbeitnehmerInnen, in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit, als Offizialdelikt
- Gleichstellung von Mobbinghandlungen mit sexueller Belästigung im Hinblick auf den Rechtsanspruch auf Schadensersatz