(Long) COVID – fehlende Daten erschweren gute Behandlung
Die medizinischen und sozialen Langzeitfolgen einer COVID19-Infektion sind derzeit noch gar nicht wirklich abschätzbar. Klar ist jedoch, dass jetzt rasch gehandelt werden muss.Fehlende Datenlage
Um eine gute und adäquate Versorgung für alle sicher zu stellen, braucht es aber auch noch mehr Wissen darüber, wie viele Menschen in Österreich von Long COVID betroffen sind, sowie eine systematische Erfassung von Symptomen und Langzeitfolgen.
Die fehlende Datenlage und auch eine fehlende einheitliche Definition erschweren das allerdings. Dabei folgt auf Long COVID leider viel zu oft der Verlust des Arbeitsplatzes und damit einhergehend natürlich auch ein deutlicher Einkommensverlust.
Erschreckendes Bild
Manche Zahlen zeigen ein sehr erschreckendes Bild: Wir wissen, dass von PatientInnen, die auf die Intensivstation kamen, ein Drittel davon zwölf Monate danach immer noch arbeitsunfähig ist (COVID-19 and Post Intensive Care Syndrome: a call for action. Henk et al. On behalf of the European Academy of Rehabilitation Medicine).
Ein weiteres Drittel hat noch nicht ihr ursprüngliches Berufs- und damit das Gehaltsniveau erreicht. Zusätzlich waren rund fünf Prozent der Infizierten trotz Rehabilitation und längeren Krankenständen auch nach der ersten Rehab nicht wieder in den Arbeitsmarkt integrierbar. Rund ein Drittel kann zumindest teilweise Tätigkeiten in der Arbeit oder im Privaten allein nicht bewältigen.
Und dennoch: Wie viele Fälle es von Long COVID in Österreich gibt, ist nicht valide bekannt.
Denn es gibt (noch) keine einheitliche Definition von „Long COVID“, allerdings verschiedene Ansätze. Das britische National Institute for Health and Care Excellence unterscheidet etwa zwischen:
- Akuter COVID-19 Erkrankung: bis zu vier Wochen nach der Ansteckung
- Fortlaufend symptomatische COVID-19 Erkrankung: weitere Symptome ab der vierten bis zur 12. Woche nach der Ansteckung
- Post-COVID-19 Syndrome: Symptome, die auch noch 12 Wochen nach der Erkrankung vorliegen
Die Qualifizierung ist hier rein zeitlicher Natur. Etwa 37% der Befragten geben in einer Studie von PLOS Med aus dem September 2021 an, bis zu 90 Tage lang an Post-Corona-Symptomen zu leiden. Eine andere Studie (Sudre et al. Nat Med 2021) zeigt hier deutlich niedrigere Zahlen mit 13,3% Symptome nach 4 Wochen und nur noch 2,3% nach 12 Wochen. Sicher scheint, dass die Symptome mit der Zeit rapide abnehmen.
46.000 Krankenstände
Bisher gibt es allein bei der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) ca. 46.000 dokumentierte Krankenstände aufgrund von Long COVID in den letzten 12 Monaten. Dazu kommen noch Betroffene, die nicht bei der ÖGK versichert bzw. nicht berufstätig sind.
Außerhalb dieser Statistik sind auch Kinder, Jugendliche und PensionistInnen. Zusätzlich werden heute viele PatientInnen auf Grund der fehlenden standardisierten Diagnosecodierung (ICPC-2) nicht als Long-COVID-PatientInnen, sondern nur mit ihren Krankheitssymptomen erfasst. Die längsten Krankenstände dauern bereits über ein Jahr.
Die Zahl der PatientInnen mit Long COVID-Symptomatik, die nur ambulant behandelt werden, ist ebenfalls nicht bekannt. Auch eine genaue Zahl der anerkannten Berufskrankheiten sowie weiteres Datenmaterial sind nur sehr schwer abrufbar. Von hohen Dunkelziffern ist auszugehen. In Sinne der Transparenz müssen diese Daten systematisch erhoben und datenschutzkonform öffentlich zugänglich sein.
Eine gute medizinische und therapeutische Versorgung erfordert verlässliche Anlaufstellen, fundierte diagnostische Abklärung und Behandlung, sowie Koordinierungsstellen zur optimalen Nachsorge, Betreuung und Rehabilitation.
Symptome
Bei Long COVID kommen viele verschiedene Symptome vor, die uns von anderen Krankheitsbildern bekannt sind, die aber jetzt durch die Pandemie gehäuft und zusammen auftreten. Neben Folgeerkrankungen der Lunge, Schmerzen, kognitiven Einschränkungen ist das vor allem das Fatigue-Syndrom.
Gerade letzteres kann ohne richtige und rechtzeitige Behandlung chronifizieren und zum schon lange (aber zu wenig) bekannten chronischen Fatigue-Syndrom (ME/CFS) führen, dass Menschen für sehr lange Zeit aus dem Arbeitsprozess führen kann.
Aber auch psychische Belastungen, die durch Long COVID auftreten, können zu psychischen Erkrankungen führen. Daher ist es dringend nötig, Behandlungsleitlinien und Behandlungspfade festzulegen, die die Menschen rechtzeitig zur richtigen Behandlung bringen, um eine Chronifizierung der Erkrankung(en) zu vermeiden.
Ein Ansatz, die Datenlage zu verbessern ist ein Fragebogen der ÖGK zum Screening von Symptomen, der gerade österreichweit ausgerollt wird.
Diese Daten müssen dann zentral zur Verfügung stehen, natürlich unter Berücksichtigung sämtlicher datenschutzrechtlicher Aspekte. Idealerweise passiert das in einem nationalen COVID-Register mit dem Ziel der systematische Datensammlung um Wissen und Kenntnis in Bezug auf Epidemiologie, Krankheitsverlauf und Therapie zu generieren. Zur Verbesserung der Datenlage braucht es auch eine einheitliche Diagnostik und Diagnosecodes. Um ÄrztInnen zu sensibilisieren, bietet die ÖGK e-Learning Module an.
Gute Versorgung!
In der Versorgung muss diesem Umstand Rechnung getragen werden, indem integrierte Versorgungsmodelle mit multiprofessionellen Teams eingerichtet werden, an die HausärztInnen und KassenfachärztInnen verweisen können. Denn derzeit liegen Probleme vor allem an den Schnittstellen zwischen dem sogenannten Primary Assesment (Krankenhäuser und HausärztInnen) und dem secondary Assesment (Weiterleitung von praktischen ÄrztInnen an FachärztInnen).
Zusätzlich fehlt für Long-COVID-Erkrankte oft das soziale Sicherheitsnetz. Krankheit und Arbeitsunfähigkeit über mehrere Monate bedeuten auch einen dramatischen Einkommensverlust und für viele Betroffene Angst vor Arbeitsplatzverlust.
Betroffene fallen größtenteils nach einem Jahr aus dem Krankenstand, müssen sich schlimmstenfalls arbeitslos melden und einen Antrag auf Reha-Geld bei der Pensionsversicherung stellen. Was es braucht: Eine bessere Koordination und eine bessere Abstimmung unter den begutachtenden Ärzten und Behörden. Helfen könnte hier ein Case-Management.
Long COVID zeigt Lücken
Es zeigt sich gerade in der Corona-Krise, dass der Sozialstaat und ein solidarisches Gesundheitssystem gut funktionieren. Long COVID zeigt aber auch Lücken und Bedarf am Ausbau der integrierten und trägerübergreifenden Versorgung auf. Neben den Krankenkassen sind daher auch die Pensions- und die Unfallversicherung gefordert; vor allem bei der Anerkennung von COVID als Berufskrankheit für alle Beschäftigten in allen Unternehmen.
Denn im besten Sozialstaat der Welt sollen diejenigen, die das Rad am Laufen gehalten haben, und als „HeldInnen der Pandemie“ betitelt wurden, keinen Nachteil haben, wenn sie sich im beruflichen Kontext angesteckt haben oder an Long COVID leiden.
Unsere Forderungen
- Bessere Datenlage zu (Long) COVID
- Es braucht nicht nur eine einheitliche und gültige Definition von Long COVID, sondern auch eine ambulante Diagnosecodierung. In einem (Long) COVID-Register soll das Gesundheitsministerium diese Daten zentral erfassen und zur Verfügung gestellt werden.
- Fragebögen der ÖGK (Symptomscreening) müssen österreichweit eingesetzt werden, damit systematisch Daten erhoben werden können. Die Umsetzung durch die ÄrztInnen muss dementsprechend unterstützt werden.
- Integrierte Versorgungsmodelle mit multiprofessionellen Teams, an die HausärztInnen und KassenfachärztInnen verweisen können
Für Betroffene von Long COVID ist das Aufsuchen von mehreren FachärztInnen eine immense Belastung, auch für verweisende ÄrztInnen ist es von Vorteil, eine zentrale Ansprechstelle zu haben. Dadurch werden Schnittstellenprobleme minimiert und eine optimale Versorgung für alle Betroffenen sichergestellt. Ein Case Management ist ebenso anzuraten. - Praktische ÄrztInnen nicht allein lassen
Im Juli 2021 hat die Österreichische Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin Leitlinien zur Behandlung von Long COVID veröffentlicht. Es braucht Hilfe und Unterstützung für die praktischen KassenärztInnen, diese Leitlinien umzusetzen, etwa mit Hilfe der e-Learning Tools der ÖGK. - Rechtsanspruch auf Wiedereingliederungsteilzeit, um Betroffenen einen Einstieg in den Arbeitsmarkt nach langer Krankheit zu erleichtern.
- COVID-19 in Zeiten der Pandemie grundsätzlich unabhängig vom Typ des Unternehmens als Berufskrankheit rückwirkend und unbürokratisch anzuerkennen, wenn persönliche Kontakte oder Kontakt mit potenziell kontaminiertem Material nicht vermieden werden können sowie eine Erleichterung bei der Beweisführung zur Anerkennung.