Sanitäter:in – Zukunftsberuf statt Lückenbüßer:in
Das Rettungswesen in Österreich steht nicht nur wegen der demographischen Entwicklung vor großen Herausforderungen. Die längere Lebenserwartung unserer Bevölkerung geht oft mit vielen komplexen Krankheitsbildern einher. Die Einsätze werden daher immer mehr und herausfordernder. Gleichzeitig stagniert die Anzahl der Sanitäter:innen, die neu ausgebildet werden und viele gehen in Pension.
Plädoyer für eine Ausbildungsreform
In der Veranstaltung am 08.05.2023 – dem Weltrotkreuztag – der AK Wien in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Rettungsdienst (BVRD), und den Gewerkschaften wurde deutlich, dass die Forderung nach einer Neugestaltung der Ausbildung von Vertreter:innen der Gewerkschaften, Rettungsorganisationen, Ausbildungsstätten, Sanitäter:innen und Ärzt:innen erhoben und mitgetragen wird. Hier geht's zur Präsentation von Clemens Kaltenberger. Die Präsentation von Helmut Trimmel können Sie hier downloaden.
Die aktuelle Situation
Gut ausgebildete Sanitäter:innen helfen dabei, dass Menschen rechtzeitig versorgt werden und tragen daher auch zu einer Entlastung des Gesundheitssystem bei. Notfallsanitäter:innen mit 1640 Ausbildungsstunden stellen in Österreich die höchste Qualifikationsstufe dar.
Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist die Ausbildungsdauer sehr kurz und ihre Qualifikation gering. Derzeit gibt es in Österreich auch keine Möglichkeit sich wie andere Gesundheitsberufe facheinschlägig tertiär weiterzuentwickeln oder problemlos in andere Gesundheitsberufe zu wechseln.
Konkrete Zahlen zur Personalsituation im Rettungswesen existieren in Österreich nicht. Der BVRD (Bundesverband Rettungsdienst) hat anhand der begrenzten Datenlage eine Einschätzung vorgenommen:
- österreichweit ca. 30.000 – 50.000 Sanitäter:innen (2021: 3.165, 9.509, ~14.000)
- davon nur ca. 15 % hauptberuflich
- Drop-Out Quote während der Ausbildung beträgt bis zu 15 %
- Seit 2012 wurden über 100.000 Personen als Sanitäter:innen ausgebildet
Fazit
Alle fünf Jahre werden die gesamten 50.000 Sanitäter:innen neu ausgebildet. Das kostet viel Geld und Erfahrung geht verloren. Quelle: Statistik Austria, Jahrbuch der Gesundheitsstatistik 2010-2017, Ausbildung im Gesundheitswesen 2021Auch wenn die Berufsausstiegszahlen durch eine hohe Ausbildungsquote kompensiert werden, ist anhand der Zahlen aus Tirol erkennbar, dass eine höhere Ausbildung die Verweildauer im Beruf positiv beeinflusst.
Notfallsanitäter:innen (NFS) können zusätzliche allgemeine und besondere Kompetenzen erwerben. Allgemeine Kompetenzen beziehen sich auf die Notfallkompetenz Arzneimittellehre (NKA) und die Notfallkompetenzen Venenzugang und Infusion (NKV). Die besonderen Kompetenzen beziehen sich auf die Notfallkompetenzen der endotrachealen Intubation und Beatmung (NKI).
Von 2017 - 2020 zeigt sich insgesamt ein deutlicher Rückgang der Anzahl von Sanitäter:innen in Tirol. Notfallsanitäter:innen mit NKA, NKV oder NKI werden jedoch mehr und sind dabei zusätzlich auf Grund von höheren Kompetenzen versorgungswirksam. Die Zahlen ab 2021 sind auf Grund der Pandemie nicht aussagekräftig.
Sanitäter:innen leisten Nachtarbeit
Sanitäter:innen sind die ersten vor Ort bei schweren Unfällen, akuten medizinischen Notfällen und Katastrophen. Sie leisten regelmäßig Nachtarbeit unter oft besonders schweren Umständen. Ihre Einsätze sind oft mit besonderen und unvorhergesehen Schwierigkeiten und Gefahren verbunden.
Die Aufnahme in das Nachtschwerarbeitsgesetz wie es auch 2013 für die Berufsfeuerwehr umgesetzt wurde, ist daher Gebot der Stunde. In Bezug auf die Aufnahme der Rettungssanitäter:innen in das Nachtschwerarbeitsgesetz NSchG analog der Feuerwehr liegt aktuell eine Bürgerinitiative zur Unterzeichnung auf.
Die demographische Entwicklung
- Größte Gruppe der Kund:innen sind >60-Jährige (26 % der Gesamtbevölkerung).
- Das Durchschnittsalter ist 70 Jahre.
- Auf sie entfallen ca. 80 % der Einsatzfahrten.
- Der Bevölkerungsanteil der 18 – 21-Jährigen bleibt nahezu konstant.
- Der Bevölkerungsanteil der >60-Jährigen steigt hingegen deutlich an.
Faktor Zivildienst
- Der Zivildienst ist die größte Rekrutierungsquelle für ehrenamtliche und berufliche Mitarbeiter:innen.
- Die Gesamtzahl der Zivildiener nimmt tendenziell ab. 2016 lag sie noch bei 15.224, im Jahr 2022 bei 14.370.
- Im Jahr 2022 wurden knapp 40 % der Zivildiener dem Rettungsdienst zugewiesen (= 5.674).
- Die Einführung der Teiltauglichkeit ist für den Rettungsdienst kaum von Relevanz.
Die strukturellen Probleme
Ausbildung
- Die Ausbildungsdauer von Rettungssanitäter:innen und Notfallsanitäter:innen in Österreich ist wesentlich kürzer als in allen Nachbarländern.
- Die höchste Ausbildungsstufe NFS-NKI umfasst insgesamt nur 1.640 Gesamtstunden, wovon lediglich 940 Stunden auf die Ausbildungszeit entfallen.
- Die Ausbildung der Rettungssanitäter:innen umfasst sogar nur 260 Stunden, das ist die kürzeste Ausbildungsdauer und damit die niedrigste Einstiegsqualifikation unter allen gesetzlich geregelten Gesundheitsberufen. Mit dieser Qualifikation werden Absolvent:innen jedoch auch alleine zur Versorgung von Notfallpatient:innen eingesetzt.
Die kurze Ausbildungsdauer verhindert außerdem
➔ die Berufsanerkennung in anderen EU-Mitgliedstaaten,
➔ die Durchlässigkeit in andere Gesundheits- und Sozialberufe - Sanitäter:in ist ein „Sackgassenberuf“. Die ausgebildeten Sanitäter:innen gehen der Gesundheitsbranche mangels beruflicher Weiterentwicklungsmöglichkeiten verloren.
Rechtlicher Rahmen
- Seit 2002 erfolgte keine nennenswerte Weiterentwicklung des Berufsgesetzes.
- Das Rettungswesen ist Ländersache und deshalb neun Mal unterschiedlich geregelt und organsiert. Beispielsweise sind je nach Bundesland und Trägerorganisation unterschiedliche Arzneimittellisten zur Anwendung freigegeben.
- Fehlende Daten erschweren die Personal- und Versorgungsplanung und damit auch eine transparente Finanzierung und Qualitätssicherung.
- Sanitäter:innen sind noch immer nicht der Berufsgruppe der Feuerwehr im Nachtschwerarbeitsgesetz gleichgestellt, obwohl auch sie vergleichbaren Belastungen ausgesetzt sind.
Daraus folgt:
➔ Ungenügende präklinische Versorgungslage, da Sanitäter:innen aufgrund ihrer geringen Ausbildung Patient:innen in Notfällen nicht so effektiv helfen können, wie ihre Kolleg:innen in den Nachbarländern, was besonders sie Krankenhäuser belastet..
➔ Unterschiedliche Kompetenzen von Notfallsanitäter:innen je nach Bundesland und Einsatzorganisation führen zu unterschiedlichen Versorgungsgraden für die Bevölkerung.
➔ Fehlende Daten, insbesondere die schon lange geforderte Registrierung der Sanitäter:innen, verhindern eine effiziente und bundesweite Planung zum Ausbildungsstand und zur Personal- und Einsatzplanung.
➔ Fehlender Schutz durch das Nachtschwerarbeitsgesetz (NSchG) führt zur geringeren Attraktivität des Berufes und erschwert zukünftige Rekrutierung von Mitarbeiter:innen.
Die Lösung
Die Bundesarbeitskammer fordert daher:
- Umsetzung eines modularen Ausbildungsmodels mit einer Basisqualifizierung für den Berufseinstieg, der auch freiwillige Einsätze attraktiver macht. Weiterführende (Spezial-) Ausbildungen auf FH-Ebene ermöglichen eine qualitativ hochwertige präklinische Versorgung und entlasten die Krankenhäuser. So wird auch die Durchlässigkeit in andere Gesundheitsberufe sowie Anrechnungen in die jeweilige höhere Ausbildung ermöglicht.
- Sicherstellung von attraktiven Einsatzmöglichkeiten für freiwillige Sanitäter:innen, egal ob mit Basisqualifizierung oder auch mit weiterführender Qualifikation. Das macht den Beruf attraktiv und sichert den notwendigen Nachwuchs.
- Aufnahme der Sanitäter:innen in das Nachtschwerarbeitsgesetz (NSchG), wie es 2013 auch für Arbeitnehmer:innen der Feuerwehr geschehen ist, um vor allem in den Genuss der besonderen Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge zu kommen.
- Aufnahme der Sanitäter:innen in das Gesundheitsberuferegister, um die Qualität der Versorgung aber auch die Planungssicherheit zu gewährleisten.