EU-Chile Handelsabkommen: Alte Probleme in neuem Gewand?
Die „neue“ Handelsstrategie der EU hat keinen Paradigmenwechsel gebracht. Auch das aktuelle Handels – und Investitionsabkommen der EU mit Chile hat einen ähnlich neokolonialen und neoliberalen Charakter wie viele EU-Abkommen davor. Sonderklagerechte für Konzerne, Rohstoffausbeutung und zahnlose Nachhaltigkeitsversprechen sind nur einige wenige Gründe, warum dieses Abkommen veraltet und somit abzulehnen ist.
Autorin: Elena Ellmeier
Diesen Artikel downloadenSonderrechte für Konzerne
Wie auch schon zuvor beinhaltet das EU-Chile Abkommen umstrittene Sonderklagerechte für Konzerne im Rahmen des Investitionsschutzes. Sollten also beispielsweise neue Gesetze zum Schutz von Umwelt und/oder Arbeitenden beschlossen werden, die den Profiten von Konzernen im Wege stehen, darf Chile fortan mit Klagen rechnen. Das wäre nicht die erste internationale Klage gegen Chile: 2021 hat etwa ein französisches Konsortium, das den Flughafen Santiago betreibt, die Republik Chile vor einem Schiedsgericht auf Schadenersatz wegen Verlusten im Flugverkehr im Zuge der COVID-19-Pandemie geklagt. Das Verfahren ist noch anhängig. Insgesamt sind mehr als 350 Klagen europäischer Unternehmen gegen karibische und lateinamerikanische Staaten bekannt – damit entfällt ein Drittel der weltweiten Klagen auf diese Region. Besonders betroffen sind Bereiche von strategischer Bedeutung wie beispielsweise der Bergbau, Öl und Gas. Als Land mit reichlich Rohstoffvorkommen ist Chile also eine besondere Zielscheibe.
Auch die Daseinsvorsorge ist durch die Sonderklagerechte der Konzerne gefährdet. Nicht einmal die Ausnahme kritischer Infrastruktur wie Wasserversorgung oder Abwasserentsorgung ist bei dem Investitionsschutz vorgesehen. Bei einer Rückführung privater Dienstleistungen in die öffentliche Hand wären entsprechend Klagen möglich. Das hemmt nicht nur die Entwicklung des Landes, sondern gefährdet auch die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen.
Die Sonderklagerechte für Großkonzerne werden aus genannten Gründen schon lange scharf kritisiert. Sie sind zudem zutiefst undemokratisch. Die entsprechenden Klagen werden bei privaten Schiedsgerichten eingebracht, deren Entscheidungen oft intransparent und kaum anfechtbar sind. Darüber hinaus reichen häufig Klagsdrohungen schon aus, um Regierungen und Parlamente davon abzuhalten, Gesetze zum Schutz der Bevölkerung und der Umwelt zu beschließen. Konzernen wird damit ein Vorrecht gegenüber demokratisch gewählten Institutionen gewährt.
Rohstoffausbeutung im großen Stil
Die Rohstoffvorkommen Chiles sind ein wichtiges Motiv für das Abkommen. Chile ist der weltweit größte Kupferexporteur und fördert zusätzlich Lithium – ein Rohstoff, der gerade für E-Autos von zentraler Bedeutung ist. Der Export dieser Rohstoffe in die EU wird mit dem Abkommen planmäßig ausgebaut – auf den ersten Blick womöglich ein erfreuliches Vorhaben. Die Schattenseiten, die mit dem Rohstoffabbau einhergehen, werden allerdings oftmals unter den Tisch gekehrt.
Der Bergbau gehört weltweit zu den gefährlichsten Branchen und verzeichnet eine sehr hohe Zahl von wirtschaftsbezogenen Menschenrechtsverletzungen. Es kommt außerdem zu einer Vielzahl von Unfällen und auch Kinderarbeit ist in dieser Branche noch bittere Realität. Insbesondere beim chilenischen Lithiumabbau mehren sich zudem Berichte über die Behinderung gewerkschaftlicher Arbeit. Bergbau in Chile steht zudem oft in Zusammenhang mit menschenrechtswidrigen Zwangsumsiedelungen indigener Völker.
Der Kupferabbau verbraucht darüber hinaus übermäßig viel Wasser und verschärft bereits existierende Dürren in Chile. Die 2,2 Tonnen giftige Abfälle, die je Tonne Kupfer entstehen, werden in der Nähe von Dörfern gelagert und verursachen massive Umweltrisiken. Auch der Lithiumabbau ist besonders problematisch und verschlingt Unmengen an Wasser, was das Ökosystem zusätzlich aus dem Gleichgewicht bringt.
Gesundheit in Gefahr
Pestizide wie Paraquat, die in der Landwirtschaft zum Einsatz kommen, sind in der EU verboten – zweifellos aus gutem Grund. Paraquat ist nachweislich hochgiftig, laut Schätzungen von Expert:innen sind bereits zehntausende Menschen an dem Mittel gestorben. Was in der EU aufgrund von Gesundheitsbedenken verboten ist, ist aber für die Länder des globalen Südens offensichtlich gut genug. Der Zynismus in dieser Sache ist kaum zu überbieten: Die Pestizide werden zu einem großen Teil von europäischen Unternehmen hergestellt und in den globalen Süden exportiert. Dabei schadet die EU aber nicht nur der Bevölkerung in Chile – denn über den Handel findet der hochgiftige Stoff seinen Weg zurück auf unsere Teller. Der jüngste Skandal der giftigen, aus Chile stammenden Nutella-Haselnüsse, ist ein Beispiel von vielen.
Ein generelles Verbot giftiger Pestizide wäre naheliegend. Denn die Folgen vor Ort sind gravierend: schwere gesundheitliche Probleme aufgrund von Vergiftungen sowie steigende Krebsraten nicht nur bei den Landarbeiter:innen, sondern auch bei der lokalen Bevölkerung. Die negativen Effekte des Einsatzes gesundheitsschädlicher Pestizide zeigt sich darüber hinaus an einem überproportional hohen Prozentsatz von Kindern mit Missbildungen.
Marketing statt echter Nachhaltigkeit
Die sogenannte Kehrtwende der EU-Handelspolitik steht und fällt mit den Nachhaltigkeitskapiteln in den neuen Abkommen. In diesen Kapiteln werden Klima-, Umwelt und Arbeitsstandards festgehalten. Dabei geht es beispielsweise um die Einhaltung der Normen der Internationalen Arbeiterorganisation, die von der Arbeiterkammer, aber auch anderen Interessensvertretungen schon lange eingefordert werden. Die Sache hat nur einen Haken: Im Gegensatz zu den Kapiteln zum Investitionsschutz gibt es keinen Sanktionierungsmechanismus bei Nichteinhaltung. Sollten also eine oder mehrere dieser festgeschriebenen Richtlinien gebrochen werden, passiert also höchstwahrscheinlich – gar nichts. Die viel beworbenen Nachhaltigkeitskapitel sind also de facto zahnlos und am Ende des Tages eher eine Marketingkampagne als Bestandteil fortschrittlicher Handelspolitik.
Handelspolitik anders denken
Eine sozial und ökologisch gerechte Handelspolitik sieht anders aus. Länder des globalen Südens dürfen nicht weiterhin zu bloßen Rohstofflierferanten verkommen. Es braucht neue Wirtschaftsansätze, die den Ausbau regionaler Wertschöpfung und kritischer Infrastruktur fördern und den Aufbau lokaler Industrien ermöglichen. Handel von Ressourcen und technologischem Wissen muss mit guten Arbeitsbedingungen, Dekarbonisierung und Menschenrechten vereinbar sein. Dafür muss Ländern wie Chile auch der notwendige Handlungsspielraum eingeräumt werden, um den heimischen Markt vor (ausländischer) Konkurrenz zu schützen. Die aktuelle Auslegung des Investitionsschutzes darf deshalb kein Bestandteil moderner Handelspolitik bleiben.
Stattdessen braucht es einen fortschrittlichen Handel auf Augenhöhe mit dem Ziel, Ressourcen zu reduzieren und gleichzeitig hohe Arbeitsstandards im Bergbau zu gewährleisten. Darüber hinaus muss die EU von dem Vorhaben des bloßen Ersatzes von Verbrennerautos durch E-Autos abkehren und auch das sogenannte grüne Wachstum grundlegend infrage stellen. Das vorliegende Abkommen erfüllt all diese wichtigen Anforderungen jedoch nicht. Es entspricht immer noch der alten, neokolonialen EU-Handelsdoktrin und ist deshalb aus einer ökologischen und sozialen Perspektive abzulehnen.
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