Pflegequalität an der Kippe
84,4% der österreichischen Pflegekräfte sagen, dass in ihrem Team in den letzten zwei Wochen mindestens eine Pflegetätigkeit oft oder sehr oft weggelassen bzw. mit einer für die Patient:innensicherheit nachteiligen Verzögerung durchgeführt wurde. Das zeigen die Ergebnisse der aktuellen MissCare-Austria Studie der Karl Landsteiner Privatuniversität, die am 23. November auf einer Veranstaltung der AK Wien vorgestellt wird.
Gerne wird betont, dass Österreich eines der besten Gesundheitssysteme der Welt hätte. Doch viele wichtige Pflegeleistungen fallen in österreichischen Krankenhäusern unter den Tisch.
Es gibt zu wenig Zeit für alle notwendigen Aufgaben, deshalb wird bei der Kommunikation und der emotionalen Unterstützung gespart. Gespräche mit den Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörigen gehen sich nicht mehr aus. Kommunikationsmängel verschlechtern die Versorgungsqualität. Auch die Krankenbeobachtung leidet, wodurch gefährliche Situationen seltener erkannt werden. „Alles zusammen ein gewaltiger Rückschlag für die Patient:innenensicherheit“, sagt AK Präsidentin Renate Anderl.
Viele Menschen werden schlecht informiert aus dem Krankenhaus entlassen. Zu Hause wissen sie nicht, wie Medikamente richtig einzunehmen sind, wie ihre Operationswunde versorgt werden muss oder wann der nächste Kontrolltermin stattfindet. All das führt zu Komplikationen und einer Vielzahl von vermeidbaren Wiederaufnahmen im Krankenhaus.
Für die Pflegenden selbst bedeutet der hohe Arbeitsdruck vor allem Stress und Überlastung. Sie verlieren aber auch die Freude an ihrer Arbeit, weil sie nicht so pflegen können, wie es notwendig wäre. Deshalb denken viele an Berufsausstieg, was die Situation weiter verschärft.
„Die aktuelle Situation ist extrem teuer und ineffizient. Das können wir uns so nicht leisten“, sagt AK Präsidentin Renate Anderl und stellt fest: „Wenn wir eine angemessene Pflegequalität sicherstellen wollen, gibt es nur zwei Optionen: einen höherer Personaleinsatz oder die Reduktion von Betten. Anders wird es kein tragfähiges Verhältnis von Pflegepersonen zu Patienten im Krankenhaus geben. Hier muss die Politik endlich Farbe bekennen.“
Neben guten Arbeits- und Ausbildungsbedingungen, die der Grundstein dafür sind, mehr Menschen für einen Pflegeberuf zu gewinnen und sie auch im Beruf zu halten, braucht es auch Verbesserungen des Personaleinsatzes. Ein Monitoring zur Personalausstattung in den stationären Einrichtungen des Gesundheitswesens und der Langzeitpflege wäre ein erster Schritt. Dieses muss sich aus Kennzahlen des tatsächlichen Personaleinsatzes und der subjektiven Einschätzung, ob dieser angemessen ist, zusammensetzten.
Die MissCare-Austria-Studie zeigt, dass die subjektive Einschätzung des Personaleinsatzes durch Pflegepersonen ein valider Indikator für rationierte Pflege ist. Die Resultate des Monitorings sollen für jede Einrichtung öffentlich einsehbar sein, etwa am Portal kliniksuche.at. Ziel ist letztlich eine verlässliche, wissenschaftlich fundierte Personalbemessungsmethode.
Weiters braucht es mehr Entlastung der Pflege durch Personal, das pflegeferne Tätigkeiten übernimmt und einen hohen Anteil an hochqualifizierten Pflegepersonen, da mehr Qualifikation zu einem besseren Umgang mit den komplexen Anforderungen führt.
Und der seit Jahrzehnten versprochene Ausbau der medizinischen Versorgung im niedergelassenen Bereich muss endlich umgesetzt werden. Dabei können die vielfältigen Kompetenzen der Gesundheits- und Krankenpflege, den MTD-Berufen und der sozialen Arbeit deutlich besser als bisher genutzt werden. „Die Ergebnisse der Umfrage sind hoffentlich ein Weckruf für die Politik“, sagt AK Präsidentin Renate Anderl.